Jeder kann ein Lied davon singen: Dieser eine Nachbar, einen Streit mit einem anderen Nachbarn hat. Sie wird von verschiedenen Personen völlig unterschiedlich erzählt. Perspektiven und Zeitrahmen spielen eine wichtige Rolle. Menschen erzählen Geschichten gerne chronologisch, weil wir das in der Schule so gelernt haben. Aber genau wie ein Detektiv alle Puzzleteile sammeln muss, um einen Fall zu lösen, müssen die Ereignisse und vor allem ihre Ursachen eines Streits gedreht und gewendet werden, von allen Seiten beleuchtet werden. Auf nicht-lineare Weise. Also ohne chronologische Reihenfolge. Dieser Blogbeitrag beleuchtet das nicht-lineare Konzept.
Was ist der Unterschied?
Vor allem einen großen Unterschied gibt es zwischen linearem und nicht-linearem Storytelling: die Chronologie, die zeitliche Reihenfolge.
Wie etwa beim traditionellen Roman der Fall sein – den wir natürlich im Kopf haben, wenn es ums „Geschichtenerzählen“ – als auch bei Lehrbüchern, die faktische Informationen enthalten. Aber dazu später mehr. Das Geschichtenerzählen geht über das reine Erzählen von Geschichten, wie beispielsweise Märchen, hinaus. Es ist die Kunst, eine Informationseinheit, die eine intendierte Verständnisaufgabe hat, auf bestmögliche Weise für das Publikum so zu konstruieren, dass dieser Zweck erfüllt wird. Und das kann natürlich auch eine Erzählung sein, bei der es um globale Wirtschaft geht!
Lineare Erzählungen folgen der chronologischen Reihenfolge. Die Zeit schreitet darin so fort, wie wir Menschen sie wahrnehmen. Nichtlineares Storytelling hingegen folgt, wie der Name schon sagt, nicht dieser Reihenfolge. Es kann in der Zeit zurückspringen und nach vorne schauen. Aspekte solcher Geschichten sind Rückblenden und Vorausschauen, Traumsequenzen und Vorahnungen. Aber nichtlineares Storytelling kann auch ohne Zeitachse existieren: parallel zu allen Arten von Informationen, die als ein Teil des nichtlinearen Storytellings zusammengestellt werden.
Manche Geschichten enthalten sowohl lineare als auch nicht-lineare Elemente. In Leo Tolstois klassischem Roman Anna Karenina ist die Vorahnung ein entscheidender Bestandteil – auch wenn die Erzählung im Allgemeinen linear ist. Anna, eine verheiratete Frau aus der Moskauer Aristokratie des 19. Jahrhunderts, lässt sich hoffnungslos auf eine Liebesaffäre ein. Im Verlauf der Geschichte sehen wir immer wieder Hinweise auf Einsenbahnen. Eine Szene, die nicht unwichtig ist: Zu Beginn der Geschichte wird ein Bahnarbeiter überfahren und stirbt genau an dem Bahnhof, an dem Anna aus dem Zug steigt. All diese „Hinweise“ deuten immer wieder auf das dramatische Ende des Buches hin. Auch durch den Wechsel zwischen linearer Erzählung sowie den nichtlinearen Elementen in seinen Romanen, gestaltet Tolstoi die Inhalte auf einzigartige Weise, wodurch seine Geschichten äußerst lebendig und mitreißend sind. Ein Meister der Erzählkunst.
Nichtlinear
Nicht-lineare Geschichten gehen in viele Richtungen. Viele nicht-lineare Geschichten folgen jedoch immer noch einer Ordnungsregel. Wie etwa Bücher mit Rückblenden und Vorschauen in abgegrenzten Kapiteln. Der Autor hat sich dafür entschieden, diese Kapitel in einer bestimmten Reihenfolge zu platzieren. Obwohl es technisch möglich wäre einfach quer zu lesen, ist es manchmal sinnvoller, das Buch ein Kapitel nach dem anderen zu lesen, wie es der Autor geplant hat.
Nichtlineare Erzählstrukturen sind nicht nur ein Aspekt, der in Romanen vorkommt. Meist sind es andere Informationsquellen, z. B. Schulbücher oder wissenschaftliche Arbeiten im Allgemeinen, die so funktionieren. Tatsächlich ist es viel einfacher ein Lehrbuch, z. B. für Biologie, nichtlinear zu erstellen als in Romanform. Eine Zeitachse kann sogar hinderlich sein, um die Informationen so zu strukturieren, wie sie bestmöglich verstanden werden. Oder, um ein großes Konzept aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.
Die KontextMaps sind eine nicht-lineare Erzählweise, die sich davon völlig lösen kann. Bei dieser Art des Erzählens müssen wir nicht von links nach rechts und von oben nach unten lesen. Stattdessen können wir an jedem beliebigen Punkt beginnen, um genau da einzutauchen, wo das persönliche Interesse, oder die persönliche Wissenslücke, liegt. Den Gesamtzusammenhang des Themas zeigt die KontextMap zu jeder Zeit, da die Einzelimformationspunkte in das große Ganze eingebettet sind.
Diese Vermittlungsart nutzt das nicht-lineare Storytelling auf andere Art und Weise als Romane. Wenn wir unsere Mappings betrachten, sehen wir, dass sie dem Leser die Entscheidung darüber überlassen, wohin er oder sie gehen möchte, während ein Roman von Tolstoi immer eine bestimmte Richtung vorgibt – der Leser muss einfach nur folgen.
In media res – Mittendrin
In der Ars Poetica („poetische Künste“, 13 v. Chr.) erwähnte der römische Dichter und Satiriker Horaz erstmals einen Begriff, den wir noch heute verwenden, wenn es um das nichtlineare Geschichtenerzählen geht: in media res oder „mitten in die Dinge hinein“. Dem Gegenteil des linearen Geschichtenerzählens, beginnt laut Horaz „vom Ei“ an: von Anfang an.
„Auch den Trojanischen Krieg beginnt er nicht am Anfang, sondern eilt immer zur Tat und reißt den Zuhörer mitten ins Geschehen …“
Horaz hatte recht: Wenn wir nichtlineare Geschichten lesen, beginnen sie oft mitten im Geschehen – nicht am Anfang … oder beim Ei, wie er es ausdrückte.
Favoriten
Klar ist also, was nicht-lineares Storytelling ist. Neben Tolstoi und Horaz gibt es noch viele weitere Beispiele. Hier sind einige unserer Favoriten für nicht-lineare Erzählweisen im traditionellen Sinne des Wortes. Wisschenschaftliche Information haben wir hier nicht mit aufgenommen.
Sturmhöhe (1847): Um ehrlich zu sein, kann dieser klassische Roman von Emily Brontë aufgrund der Zeitsprünge mit ähnlich benannten Figuren ziemlich verwirrend sein. Wenn man jedoch erst einmal den Dreh raus hat, ist er bis zum bitteren Ende fesselnd.
Abbitte (2007): Dieser Film unter der Regie von Joe Wright mit Keira Knightley und James McAvoy in den Hauptrollen beschreibt ein britisches Familiendrama in den 1930er Jahren. Er verwendet geniale Rückblenden, in denen wir beide Seiten der Medaille sehen: Er zeigt uns, wie verschiedene Menschen dieselbe Situation erlebt haben.
Vergiss mein nicht! (2004) von Regisseur Michel Gondry, ein Indie-Hit mit Kate Winslet und Jim Carrey in den Hauptrollen, erzählt die Geschichte eines Mannes, der die Erinnerungen an seine Beziehung zu seiner Ex gerne auslöschen würde. Das medizinische Verfahren, dem er sich dafür unterzieht, bietet eine traumhaft-albtraumhafte Kulisse, um in der Zeit hin und her zu springen.
How I Met Your Mother (2005-2014): Nicht alle nicht-linearen Geschichten müssen ernst sein! HIMYM ist ein moderner Klassiker, der viele Menschen zum Kichern bringt. Obwohl die gesamte Serie technisch gesehen eine einzige große Rückblende ist, macht sie Tausende von Zeitsprüngen, um Nebenhandlungen zu erzählen.
Santa Esperanza (2004): Dieses Buch von Aka Morchiladze enthält viele kleine Bücher, die zusammen ein einziges ergeben. Sie sind jedoch alle für sich abgeschlossen und können auf jede erdenkliche Weise kombiniert werden. Daher können Sie auch eine bestimmte Reihenfolge wählen, in der Sie es lesen möchten.
Cloud Atlas (2012): „Eine Erkundung der Frage, wie sich die Handlungen einzelner Menschen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gegenseitig beeinflussen, wie eine Seele von einem Mörder zu einem Helden geformt wird und wie ein Akt der Güte über Jahrhunderte hinweg eine Revolution inspiriert“, so beschreibt IMDB dieses Drama mit Tom Hanks, Halle Berry und Hugh Grant. Nichtlineare Erzählkunst in ihrer besten Form!
Tenet (2020): Einer der vielen erfolgreichen Filme von Christopher Nolan, der meisterhaft mit dem Konzept der Zeit spielt. So gibt es beispielsweise Kugeln mit ‚umgekehrter‘ Entropie, die sich rückwärts durch die Zeit bewegen.
Edge of Tomorrow (2014): Ein mitreißender Alien-Science-Fiction Film mit Tom Cruise, bei dem die Protagonisten eine fest determinierte Abfolge von Events durchschauen und ändern müssen, um die Menschheit zu retten.
Und täglich grüßt das Murmeltier (1993): Jeden Tag aufwachen, um das immer Gleiche zu erleben. Grandioser Komödienklassiker, den man gesehen haben sollte. Ein Journalist wird in einer absurden Zeitschleife gefangen und sucht sich seinen Weg heraus.
Ist das Kunst?
Uns ist bewusst, dass es sich bei den oben genannten Beispielen um Erzählungen, um Geschichten handelt. Aber natürlich sind es gerade Fachinformationen, Berichte, Fakten, nakte Information und nicht Romane, die am meisten von nicht-linearem Storytelling profitieren. Inhalte, die aus Recherchen, der Wissenschaft, die tagtäglich passieren, kommen, die faktisch sind, die oftmals auch ziemlich langweilig sein können, wie etwa juristische Sachverhalte oder technische Beschreibungen, Bürokratie oder Bedienungsanleitungen! Lehrbücher oder umfassendere Themen, die man erst im großen Zusammenhang richtig verstanden werden können – wie zum Beispiel unsere Karte zur 5G-Technologie. Solche Informationsstücke müssen und können häufig keiner Zeitachse folgen, im Gegensatz zu Romanen – Anfang-Mitte-Ende (Happy End = Komödie, Desaster = Tragödie).
Nichtlineares Storytelling, ob in völlig freier Form wie bei KontextMaps oder nicht, ist wohl eine Kunstform. Warum? Es kommt der Funktionsweise des menschlichen Geistes nahe. Menschen denken nicht „geradlinig“, also von A nach B ohne Umwege. Wenn wir unseren Denkprozess darstellen würden, wäre er kaum jemals eine gerade Linie. Das Denken springt ständig zwischen Einzelinformationen hin und her. Wir setzen diese Einzelpunkte zusammen und bekommen allmählich den Überblick. Dann haben wir verstanden.
Es gibt noch andere Gründe, warum wir nichtlineare Erzählweisen lieben. Ganz oben auf der Liste steht die Spannung, die sie erzeugen kann. Während Textzeilen langweilig sein und zu Ablenkungen führen können, sind nichtlineare Geschichten wie ein faszinierendes Puzzle, das immer spannend bleibt. Das Publikum muss sich viel stärker einbringen, um alles zusammenzufügen und eine eigene Logik für die Geschichte zu entwickeln. Auch wenn Ihnen hier vielleicht wieder Romane in den Sinn kommen, ist dies auch für wissensbasierte Inhalte von großer Bedeutung. Bei jedem Inhalt möchten Sie, dass Ihre Leser „bei der Sache bleiben“.
Das Beste aus beiden Welten
Ob Sie nicht-lineares Storytelling verwenden, liegt natürlich ganz bei Ihnen. Wir können uns kein Thema vorstellen, bei dem nicht zumindest ein Funken Nichtlinearität von Vorteil wäre, sei es durch Zeitsprünge oder durch das Hinzufügen eines Multimedia-Aspekts oder einer völlig anderen Perspektive auf das Thema. Oft ist es das Beste aus beiden Welten, das hilft, das beste Endprodukt zu schaffen. Um ein Thema so zu vermitteln, dass bei Lesenden, bei Usern, genau das ankommt, das vermittelt werden soll.